Die Basketballer des FC Bayern haben das vermeintlich Unmögliche möglich gemacht und im Audi Dome einen denkwürdigen Abend für die Vereinsgeschichte abgeliefert: Die Mannschaft von Cheftrainer Andrea Trinchieri kämpfte im vierten Playoff-Duell mit dem Rücken zur Wand den EuroLeague-Titelanwärter Olimpia Mailand im Schlussviertel mit einem 22:11-Run nieder – und hat mit dem begeisternden 85:82 (40:50)-Triumph in der Best-of-five-Serie trotz des 0:2 zum Auftakt den Ausgleich geschafft. Damit kommt es am kommenden Dienstagabend, dann wieder in Mailand, zum alles entscheidenden fünften Spiel um den Einzug in das Kölner Final Four (28. – 30. Mai). Spielbeginn in Mailand ist um 20.45 Uhr, MagentaSport überträgt live.
In einem heftig umkämpften Spiel sahen die Mailänder mit ihrem hochwertigen Line-Up lange Zeit wie der Sieger aus, noch zu Beginn des Schlussviertels führte das Starensemble 73:63 (31.). Doch initiiert durch Distanzwürfe und einen sagenhaften Poster-Dunk von Nationalspieler Paul „Zip“ Zipser schuftete sich das beste Heimteam der EuroLeague (15:4) immer näher heran. Das unwirklich anmutende Highlight der Crunchtime ermöglichte dann ebenfalls Zipser mit einem Alley Oop auf Vladimir Lucic, der den Ball im Obergeschoss in den Ring wuchtete – und auch bei den letzten Freiwürfen eiskalt blieb.
In Spiel vier standen Wade Baldwin, Diego Flaccadori, Vladimir Lucic, JaJuan Johnson und Leon Radosevic in der ersten Fünf. Mailand begann mit aggressiven Drives zum Korb, die vor allem Ex-Münchner Delaney konsequent abschloss. Baldwin und der früh eingewechselte Jalen Reynolds setzten ihre Physis dagegen und sorgten für die ersten Münchner Punkte (6:4/3.). Mit Unterstützung von D.J. Seeley (11 Punkte im ersten Viertel) kamen die Bayern gut in die defensiv geprägte Partie (12:12/7.). Ein Indiz dafür: Insgesamt 23 Mal traten beide Mannschaften im ersten Viertel an die Freiwurflinie. Dort behielten die Gastgeber die Ruhe und führten 23:19.
Im zweiten Viertel nutzten die Mailänder zwei frühe Ballverluste und gingen mit Dreiern von Sergio Rodriguez und Luigi Datome in Führung. Johnson fand seinen Wurf aus der Mitteldistanz, während auf der anderen Seite Delaney kaum zu stoppen war (34:40/16.). Die Mannschaft Trinchieris musste jetzt einige unglückliche Aktionen hinnehmen. Baldwin und Lucic landeten nach Kontakt unsanft auf dem Rücken und konnten nur unter Schmerzen weitermachen. Olimpia nutzte die hitzige Phase und ging mit einer zweistelligen Führung in die Pause (40:50).
Den Alley Oop-Pass verwertet Lucic 23 Sekunden vor Schluss – and one!
Die Kontrolle der Rebounds und der Eins-gegen-Eins-Situationen waren Trinchieris auserkorener Schlüssel zum Erfolg vor der zweiten Halbzeit. Zipser setzte diese Ansage in die Tat um und hämmerte den Ball mit Kontakt durch den Ring. Doch auch die Gäste spielten intensiv und konnten sich immer wieder auf Topscorer Delaney verlassen (51:61/24.). Aber die Münchner kämpften weiter, drückten nach eigenen Stopps auf das Tempo und kamen wieder auf fünf Punkte heran. Nach einem wilden Buzzer-Beater von Shavon Shields waren es aber wieder acht (63:71/30.).
Zu Beginn des Schlussabschnitts zeigten Zipser und Lucic ihre Qualitäten von der Dreierlinie, von der insgesamt nur wenig fiel (5/21). Und Zipser legte nach – nach einem starken Zug zum Korb nahm er Defensivspezialist Kyle Hines mit auf das Poster – nur noch 73:75! Drei Minuten vor dem Ende kam Reynolds zum freien Sprungwurf und besorgte tatsächlich die erste Führung seit Beginn des zweiten Viertels (80:79). Das Feuer in der Defensive war entfacht. Nur Delaney fand wieder den Weg zum Korb, 80:82 (noch 60 Sekunden). Doch beim nächsten Versuch waren die Bayern vorbereitet: Sisko stoppte den Mailänder Guard und brachte Zipser auf den Weg, der Lucic zu einem irrwitzigen Alley Oop fand – 83:82 (noch 23 Sekunden). James Gist forcierte dann genial das Offensivfoul und brachte Olimpia dazu, Lucic zu foulen – 85:82 (noch acht Sekunden). Mailand brauchte nun den Dreier, fand Datome in der Ecke – und der verwarf.
Andrea Trinchieri: „Kaum auszudenken, was in einem vollen Audi Dome losgewesen wäre. Was für ein Spiel, was für eine Serie, was für ein Kontrahent! Mailand hat heute große, große Aktionen gehabt, durch Delaney, Shields, Punter, sie trafen große Würfe. Wir waren mit dem Rücken zur Wand, mit zehn hinten. Und sie haben besser gespielt. Aber wieder einmal haben wir großartigen Charakter gezeigt und exzellente Defensive gespielt. Wir haben einfach nicht aufgegeben und ein paar Dinge verändert, waren aggressiver. Und um ehrlich zu sein: Wenn du ein Spiel mit einem Alley oop plus And-One in den letzten 20 Sekunden gewinnst – dann bist du entweder total verrückt oder eben speziell. (…) Spiel eins war sehr ähnlich zu Spiel vier, Spiel zwei ähnelte Spiel drei – und jetzt kommt Spiel fünf und kann mir nicht vorstellen, was dann passiert. Vielleicht habe ich morgen eine bessere Vision davon. Ich bin wirklich stolz auf meine Spieler: Ins fünfte Spiel zu gehen gegen so ein Mailand, gegen solche Spieler und bei uns zwei Spieler auf der gleichen Position draußen – das ist unglaublich. Wir wissen, dass das nächste Spiel schwer wird, sie werden mit ihrer besten Leistung herauskommen und wir müssen noch einmal unser Level steigern. Wir wissen, was auf uns zukommt.“
Vladimir Lucic: „Es war ein großartiges Spiel. Ich denke, jeder hat das hier genossen. Es ist eine wahre Playoff-Schlacht. Wie immer in dieser Saison haben wir nicht aufgegeben und bis zum Schluss Charakter gezeigt. Ich denke, wir verdienen das Spiel in Milan. Wir müssen uns jetzt regenerieren, denn wir spielen bereits in zwei Tagen in der BBL wieder. Außerdem müssen wir uns auf Dienstag vorbereiten und alles versuchen, um dort ein gutes Ergebnis zu erzielen. Wir sind bereit, wir sind hungrig, wir arbeiten seit der Saisonvorbereitung hart und machen es uns nie leicht. In Spielen wie heute wollen wir da sein und das müssen wir auch am Dienstag. Der Pass von Zipser am Ende war überragend, speziell in diesem Moment. Ich habe nur versucht, das Beste aus der Position zu machen, Aber auch der Stopp von James danach war wie so oft großartig. Das hat uns das Spiel gewonnen. Ich versuche, in solchen Situationen einfach immer ruhig zu bleiben und für mein Team da zu sein.“
Paul Zipser: „Ich habe nicht viel nachgedacht. Das habe ich in der ersten Halbzeit zu viel gemacht. Ich wollte einfach nur spielen. Das passt einfach zu uns: Wir waren 0:2 zurück, dann machen wir das 1:2. Heute hat sich die erste Halbzeit nicht gut angefühlt und wir haben gemerkt, dass wir vor allem mental mehr bringen müssen. Dann haben wir einfach gespielt. Jetzt sind wir zurückgekommen und es wird Zeit, den ersten Sieg der Saison in Mailand zu holen.“
Wade Baldwin: „Ich fühle mich großartig. Wir haben sie gut ausgeboxt. Wir haben einen Weg gefunden, das Spiel zu gewinnen und ein fünftes Spiel forciert. Jetzt geht es zurück nach Mailand und wir haben noch ein Spiel, um es in das Final Four zu schaffen. Wir haben ein großartiges Team mit Spielern, die eine Partie entscheiden können. Zum Beispiel Johnson ist in dieser Serie unglaublich stark und macht wichtige Dinge, speziell in der Defensive. Auch D.J. Seeley hatte eine heiße erste Halbzeit. Auch Lucic und Paul Zipser machen einen richtigen guten Job. Spiel fünf ist immer das härteste Spiel. Wir müssen wieder alles geben.“
Marko Pesic: „Da schmeißt der Typ (Zipser) einen Alley Oop-Pass auf Lucic, 20 Sekunden vor Schluss. Ich habe gedacht: Was macht der?! Das ist verrückt, einfach riesigen Respekt an die Jungs. Wir standen 0:2 in Mailand und stehen jetzt vor einem fünften Spiel. Wir hatten heute eigentlich schon fünfmal verloren. Aber diese Saison ist einfach alles möglich. Ich hatte das Gefühl, dass wir nicht so viel Energie hatten. Da lag ich wohl falsch. Die Mentalität ist einfach speziell in der Saison. Egal wie es steht, jeder geht einfach mit. Andrea hat das taktisch auch exzellent gemacht, wie er vor allem mit den großen Leuten rotiert hat – und Paul war in der zweiten Halbzeit großartig. Er hat Mut und sein Talent gezeigt. Das wird in Mailand unglaublich schwer werden, aber mit dieser Mannschaft ist alles möglich. Wir gehen jetzt entspannt nach Mailand, aber müssen Sonntag erst einmal nach Göttingen und dort ein gutes Spiel machen.“
- FCBB: Wade Baldwin (18 Punkte/ 4 Assists), Paul Zipser (16), Vladimir Lucic (12), D.J.Seeley (11), Jalen Reynolds (9), James Gist (5), JaJuan Johnson (12/ 7 Rebounds), Zan Mark Sisko (2), Sasha Grant, Diego Flaccadori, Jason George und Leon Radosevic
- Topscorer Mailand: Malcolm Delaney (28 Punkte)
Die Punkteverteilung nach Vierteln (aus Sicht FCBB):23:19, 17:31, 23:21, 22:11
Zahlen & Fakten – Zweier-Quote: 57 % (FCBB) // 54 % (Mailand); Dreier-Quote: 24 % // 40 %; Freiwurf-Quote: 85 % // 77 %; Rebounds: 28//32; Assists: 15 //13; Ballverluste: 11//14. (pm-FCBB)